Die Oberbürgermeisterin von Eisenach im Podcast-Interview, Folge #14, veröffentlicht am 30. Januar 2020
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Katja Wolf ist Oberbürgermeisterin von Eisenach. In ihrer Stadt wird die rechtsextreme NPD seit Jahren in den Rat gewählt, und nach der Tradition in Thüringen hätte die Oberbürgermeisterin den NPD-Ratsmitgliedern mehrfach die Hand geben müssen. Aber Katja Wolf weigerte sich – und landete deshalb vor Gericht.
Annette Wieners hat für den Podcast „Das Mädchen aus der Severinstraße“ am 15.01.2020 ein Gespräch mit Katja Wolf geführt. Lesen Sie hier die Abschrift der Tonaufnahme. Die Satzstellung wurde sanft an die Schriftform angepasst.
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Wolf: Ich bin Katja Wolf, komme aus Eisenach und bin Oberbürgermeisterin dieser schönen Stadt.
Wieners: Seit wann sind Sie Oberbürgermeisterin?
Wolf: Seit 2012, also inzwischen seit gut sieben Jahren.
Wieners: Bei Ihnen in Thüringen gibt es eine Kommunalordnung, die schreibt vor, dass Sie als Oberbürgermeisterin Stadträte per Handschlag auf „die gewissenhafte Erfüllung ihrer Aufgaben“ verpflichten müssen. Also Sie müssen bei der ersten konstituierenden Ratssitzung den Stadträten die Hand reichen, das ist ein offizieller Akt. Aber bei Ihnen im Stadtrat sitzen auch Mitglieder der rechtsextremen NPD und denen wollen Sie nicht die Hand geben. Wie hat sich das entwickelt?
Wolf: Sie haben das schon sehr schön auf den Punkt gebracht. Die Kommunalordnung schreibt vor, dass ich die Verpflichtung der Stadträte vornehme – was ja an sich eine sehr schöne und durchaus wichtige Tätigkeit ist. Die anwesenden Stadtratsmitglieder werden nach vorne gebeten, sprechen dann die Worte nach: „Ich verpflichte mich…“ und sie werden dann von mir gegebenenfalls mit Handschlag in ihrem Amt begrüßt.
Wieners: Gegebenenfalls… Das heißt, den NPD-Ratsmitgliedern reichen Sie nicht die Hand.
Wolf: Naja, ich gebe unumwunden zu, dass für mich dieser Handschlag nicht nur einen rein deklaratorischen Charakter des Gesetzgebers hat, sondern im Besonderen – und es ist mir wichtig – immer auch eine persönliche Kompetente. Ein Handschlag ist ein Zeichen der Ehrerbietung, der gegenseitigen Achtung und des Begegnens auf Augenhöhe. Es ist in seiner Geschichte ein ganz wichtiges Signal, wenn man jemanden mit Handschlag begrüßt. Und ich gebe zu, dass mir das tatsächlich unmöglich erscheint, der NPD-Fraktion in Gänze, aber im Besonderen dem Fraktionsvorsitzenden der NPD gegenüber. Dazu muss man wissen, dass der Fraktionsvorsitzende der NPD… Es wär schon schlimm genug, wenn er nur NPD-Fraktionsvorsitzender wäre, aber Patrick Wieschke hat eine Biografie, die tatsächlich aus meiner Sicht, für mich persönlich, so abstoßend ist, dass es mir nicht gelingt, diesen sehr persönlichen Körperkontakt mit ihm herzustellen.
Wieners: Was an dieser Biografie stößt Sie so ab?
Wolf: Herr Patrick Wieschke ist durch und durch, und da widerspricht er gar nicht, Rechtsextremer am ganz rechten Rand. Seit vielen Jahren in der NPD, auch auf Funktionärsebene, auch auf Bundesebene aktiv – und mit einem Vorstrafenregister, das einem im negativsten Sinn Gänsehaut macht. Also von Körperverletzung über Volksverhetzung bis hin zu der Verurteilung auf Grund der Beteiligung an einem Bombenanschlag auf einen Dönerladen. Das ist nicht einfach nur in Anführungsstricheln ein „Mitläufer“, sondern die zutiefst rechte Szene, die hier verankert ist.
Wieners: Er ist eine Schlüsselfigur der NPD in Thüringen, richtig?
Wolf: Richtig. Er ist immer einer der wichtigsten Köpfe der NPD in Thüringen gewesen, aber wie gesagt, darüber hinaus auch bundesweit aktiv. Es war immer auch die Fragestellung, ob es eine Beteiligung an der NSU gab. Es war immer klar, es gibt die Bekanntschaft auch in diesem Bereich, also auch in den ganz rechten und auch gewaltbereiten Bereich hinein. Also wir reden hier nicht von einem in Anführungsstricheln „kleinen Licht“.
Wieners: Wenn er jetzt nicht bei Ihnen im Stadtrat säße, würden Sie denn den anderen NPD Mitgliedern die Hand geben?
Wolf: Das ist eine hypothetische Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich glaube nicht… Weil für mich die Frage der Verfassungsfeindlichkeit der NPD natürlich maßgeblich ist. Aber die Frage stellt sich tatsächlich nicht, weil von Anfang an immer klar war, dass diese Fraktion sich Patrick Wieschke mit seiner, wie gesagt, ganz speziellen Biografie eben zum Vorsitzenden gewählt hat, und damit ein klares Bekenntnis auch zu dieser extremen Radikalität abgegeben wurde.
Wieners: Sie selbst gehören der Partei Die Linke an. Können Sie das auseinanderhalten, inwieweit der verweigerte Handschlag politisch motiviert ist und inwieweit persönlich?
Wolf: Ich glaube, ich habe in den letzten 7 Jahren, das hoffe ich zumindest, immer wieder bewiesen, dass ich keine linke Oberbürgermeisterin bin, sondern dass ich die Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenach bin. Es ist tatsächlich so, dass ich, natürlich… Das ist ja logisch, ich meine, mich gibt‘s nicht ohne mein Parteibuch!… Aber auf der anderen Seite ist aus meiner Sicht – und das im Besonderen in der Kommunalpolitik – die Frage des Parteibuches nicht relevant. Weil… Man ist in dieser Funktion, und das genieße ich sehr, der Stadt verpflichtet und nicht der Partei.
Wieners: Aber Sie haben trotzdem eben davon gesprochen, dass Sie diesen Körperkontakt nicht wollen. Das ist ja eine persönlich Motivation.
Wolf: Ja, das gebe ich auch unumwunden zu. Es geht mir natürlich auch um das Signal, keine Normalität mit der NPD herzustellen. Es ist für mich ein wichtiges Signal, dass man mit Verfassungsfeinden keine Normalität herstellt. Aber auf der anderen Seite gibt es natürlich nicht nur die Politikerin Katja Wolf, sondern im Besonderen auch den Menschen. Ich gebe das unumwunden zu, dass dem Menschen und auch Frau Katja Wolf dieser Körperkontakt mit dem besonderen Herrn Wieschke, aber am Ende der NPD-Fraktion, tatsächlich eine unvorstellbare Vorstellung ist.
Wieners: Jetzt haben Sie ja seit Ende 2019 ein Problem. Denn in Ihrem Stadtrat sitzt jetzt auch noch die AfD mit vier Ratsmitgliedern. Geben Sie denen die Hand?
Wolf: Aus meiner Sicht ist eine Gleichstellung der AfD, die ich selbstverständlich auch politisch kritisiere… aber eine Gleichstellung der AfD mit der NPD zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben. Wir haben das klare Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD. Diese Klarheit gibt es bei der AfD nicht. Von daher habe ich den vier AfD-Mitgliedern mit Handschlag die Verpflichtung abgenommen in der Stadtratssitzung. Weil ich es auch für inhaltlich falsch halte, die NPD und die AfD auf eine Stufe zu stellen. Da würde man aus meiner Sicht, ohne die AfD schön reden zu wollen!, aber da würde man die NPD in ihrem Wirken relativieren.
Wieners: Wahlforscher haben herausgefunden, dass in den NPD-Hochburgen die AfD bei den Landtagswahlen besonders gute Wahlergebnisse eingefahren hat. Und es kommt dazu, dass die AfD in Thüringen ein besonderer Fall ist, denn unter Höcke hat sie den sehr rechten Flügel, der vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingeordnet wird, auch wenn die AfD jetzt dagegen klagt. Das heißt, die Verfassungstreue ist da auch nicht so lupenrein gegeben.
Wolf: Da haben Sie völlig recht, wobei man eben an der Stelle trotzdem differenzieren muss. Wir haben die vom höchsten Verfassungsorgan der Republik, nämlich von Bundesverfassungsgericht, festgestellte Verfassungsfeindlichkeit der NPD. Das gibt es so bei der AfD nicht, und deswegen ist es aus meiner Sicht notwendig, sich selbstverständlich inhaltlich mit der AfD auseinanderzusetzen – und ich will da überhaupt nichts relativieren oder schönreden. Die AfD wird in ihrem Wirken ganz genauso kritisiert, wo zum Beispiel die Willkommenskultur in der Stadt infrage gestellt wird oder wo sie rassistisch oder menschenfeindlich agiert. Das ist überhaupt keine Frage! -, aber die Gleichsetzung mit der NPD, die halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für falsch. Dazu kommt, dass bei uns in der AfD-Fraktion Menschen in den Rat Einzug gehalten haben, die bisher, und da will ich nicht die AfD schönreden, ausdrücklich nicht!, aber die bisher politisch völlig unauffällig und inaktiv gewesen sind. Anders als das bei der NPD-Fraktion ist, wo allein das Vorstrafenregister und die politischen Reden auf dem Marktplatz schon mir persönlich Übelkeit bereiten…. Aber hier sprechen wir von vier Menschen, die bisher weder in rechtsradikalen oder sonstigen Reden aufgefallen sind. Wenn das der Fall gewesen wäre oder irgendwann sein wird, dann muss man natürlich die Situation neu bewerten, das ist keine Frage.
Wieners: Aber Sie verhelfen der AfD dadurch mehr in die Normalität. Auch dadurch, dass Sie sagen, die seien unauffällig geblieben. In der NPD sind die extremen Fälle und in der AfD sind die, die man noch ertragen kann? Oder wie ist das?
Wolf: So kann man theoretisch… Wenn man das in dieser Weise interpretiert, könnte man es so formulieren. Aber es ist mir tatsächlich wichtig, hier keine Gleichsetzung zwischen AfD und NPD zum jetzigen Zeitpunkt… Ich weiß nicht, wie sich die AfD weiterentwickelt, ich weiß nicht, wo die AfD politisch in zwei, drei oder fünf Jahren steht, aber zum jetzigen Zeitpunkt hab ich in der Abwägung und in der Differenzierung, die aus meiner Sicht geboten ist, für mich die Entscheidung getroffen, der AfD die Verpflichtung mit dem Handschlag abzunehmen und dies eben ausdrücklich bei der NPD nicht zu tun.
Wieners: 2014 war es noch leichter, den Handschlag zu verweigern, als die AfD noch nicht da war…
Wolf: Das stimmt.
Wieners: Da war das eine ganze eindeutige Sache…
Wolf: Das stimmt. Ja, natürlich, ist das immer auch… Das muss man sich auch zugestehen, dass sich das möglicherweise hinterher als Irrtum herausstellt, zu sagen, nein, die AfD ist nicht in der gleichen Weise verfassungsfeindlich wie die NPD. Aber zum jetzigen Zeitpunkt wäre die Gleichsetzung tatsächlich falsch. Also jeder, der hier die NPD vor Ort erlebt, wie sie eben auch mit alten SS-Größen Liederabende und Geschichtsabende durchführt, wie hier wirklich ein ganz, ganz extrem rechtes, extrem gewaltbereites Spektrum bedient wird… Also da wäre aus meiner Sicht tatsächlich inhaltlich die Gleichsetzung mit der AfD eine Relativierung der NPD, die falsch wäre.
Wieners: Wie reagiert denn die NPD darauf, dass Sie ihr nicht die Hand geben?
Wolf: Na gut, der Fraktionsvorsitzende Patrick Wieschke hat ja sehr schnell, wenn ich das so sagen darf, ein bisschen die beleidigte Leberwurst gegeben und Klage eingereicht. Die wurde im ersten Verfahren zu meinen Gunsten abgelehnt, das heißt, das Thüringer Gericht hat an der Stelle noch festgestellt, dass der Handschlag einen rein symbolischen Charakter hat und man darauf keinen rechtlichen Anspruch hätte. Das Oberverwaltungsgericht hat das anders bewertet, und dementsprechend ist Herr Wieschke tatsächlich jetzt immer noch dabei, die Frage juristisch klären zu lassen, ob ich verpflichtet bin, ihm die Hand zu geben oder nicht.
Wieners: Wir hören sehr viel über Kommunalpolitiker, die von Morddrohungen heimgesucht werden oder die in ihrem Alltag mit Hassbotschaften belästigt werden. Widerfährt Ihnen so etwas auch?
Wolf: Ich habe bis jetzt sehr strikt durchgehalten, über diese Bedrohungen, über diese Belästigungen, über diese offenen und nicht offenen Taten mich nicht öffentlich zu äußern. Und ich kann es auch sehr klar begründen: Ich möchte nicht, dass es der Triumpf der radikal Rechten ist, den Eindruck zu erwecken, uns in Angst und Schrecken zu versetzen. Ich möchte nicht, dass demokratische Politikerinnen, Bürgermeisterinnen, Bürgermeister in eine Opferrolle gedrängt werden. Weil ich glaube, dass es unsere Rolle schwächen würde. Es wird nicht überraschen, logisch, dass es auch an meiner Person diese… diese sehr unterschiedlich gearteten Vorfalle gab. Aber Sie werden von mir nichts über Morddrohungen, nichts ober Sachbeschädigung, nichts über persönliche Drohungen erfahren, weil ich es für wichtig halte, mich nicht von radikal Rechten zum Opfer machen zu lassen – sozusagen den ersten Sieg zu gönnen.
Wieners: Und das sagen Sie in Eisenach. Da herrschen ja Zustände, bei denen man, wenn man darüber liest, große Augen kriegt. Die Rechtsradikalen sind in Ihrem Stadtbild sehr präsent und auch sehr aggressiv.
Wolf: Auch sehr sichtbar unterwegs! Also da wird nichts mehr hinter irgendeinem Mäntelchen versteckt, da ist man sehr offen, auch in sozialen Netzwerken, sehr offen, sehr bedrohlich unterwegs. Wir wissen, dass in dem Haus, das die NPD leider in Eisenach besitzt und entsprechend auch bespielt, Kampftraining und Ähnliches stattfindet… Also ich gebe zu, das geht mir an die Nieren, mit welcher Selbstverständlichkeit inzwischen radikal Rechte in Städten agieren. Ja.
Wieners: Sie haben 2014 der NPD den Handschlag verweigert, und 2019 haben die ihre Wahlergebnisse sogar noch verbessert. Das heißt, auf den Wähler hatte Ihre verweigerte Geste keine dämpfende Wirkung.
Wolf: Das ist eine hypothetische Feststellung. Wir wissen natürlich nicht, wie wären die Wahlergebnisse, wenn ich ihnen die Hand gegeben hätte. Diesen Modellversuch, die Chance dafür haben wir nicht.
Wieners: Richtig
Wolf: Und der verweigerte Handschlag ist natürlich nur ein ganz kleiner Baustein der Strategie im Umgang mit radikal Rechten.
Wieners: Ich hab mir Bilder davon angesehen, wie es denn ist, wenn Sie den Handschlag verweigern. Sie verschränken die Hände auf dem Rücken, machen ein freundliches Gesicht und schreiten die Reihe ab. Sie gehen an den NPD-Mitgliedern vorbei, Sie gucken die auch an, nicken kurz zu… Sie haben genau austariert, was Sie tun und was Sie nicht tun. Und Sie geben denen auch nicht die Möglichkeit, dass man einfach Ihre Hand packt, oder?
Wolf: Naja gut, in so einer Situation ist die Frage von Körpersprache und Haltung natürlich keine ganz einfache. Und natürlich, wenn ich einen Handschlag verweigere, muss ich meine Hände in irgendeiner Weise aus dem Blickfeld nehmen. Alles andere wäre irgendwie uneindeutig.
Wieners: Und Sie haben keine Angst?
Wolf: In der Situation oder im Nachgang?
Wieners: In der Situation wohl nicht…
Wolf: Nein.
Wieners: Denn da sind Sie ja im offiziellen Auftritt. Aber insgesamt in Ihrem Leben in Eisenach: Sie haben keine Angst?
Wolf: Eisenach ist eine tolle Stadt und Eisenach ist eine wirklich liebenswerte Stadt. Jeder, der hier war, erlebt eine Stadt, die einem wirklich freundlich entgegenkommt und wo man tatsächlich eine freundliche, im besten Sinne Gastfreundschaft erlebt. Natürlich ist es so, dass man in Zeiten der Zuspitzung – und das bezieht sich nicht nur auf den Handschlag – mit einer größeren Achtsamkeit unterwegs ist. Aber das ist keine Angst, nein.
Wieners: Sie streben an, dass das Gesetzt geändert wird. Dass dieser Handschlag gar nicht mehr vorgeschrieben wird. Wie sind denn da die Chancen?
Wolf: Den brauche ich nicht, dieser Handschlag ist aus meiner Sicht überflüssig wie ein Kropf. Das ist aus einer Zeit, wo eine sehr von Männern dominierte Politik noch hemdsärmlich per Handschlag Verträge abgeschlossen hat, oder wo man sich per Handschlag auf einer rechtlichen Ebene bewegt hat. Dieser Handschlag ist aus meiner Sicht völlig aus der Zeit gefallen. Wir leben im Moment und zum Glück ein ganz anderes demokratisches Miteinander. Von daher ist diese Normierung des Handschlages überfällig, aus dem Gesetz gestrichen zu werden.
Wieners: Aber wie sind die Chancen, dass das auch passiert?
Wolf: Na gut, die politische Situation in#st in Thüringen gerade nicht so ganz einfach. Wer welche Mehrheiten für welches Gesetz bekommt oder für welche Änderungen eines Gesetzes bekommt, das ist im Moment noch ein Stückchen in den Sternen. Aber ich weiß, dass die Debatte zum Handschlag in allen Fraktionen so geführt wurde und geführt wird, dass man Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dieser Not heraus befreien will. Das heißt ja nicht, wenn es nicht mehr im Gesetz ist, dass man nicht mehr gewählten Stadtratsmitgliedern zur Wahl gratulieren und auch die Hand reichen kann, wenn man das möchte. Es ist ja nicht ausgeschlossen.
Wieners: Riskieren denn Sie denn jetzt gerade Ihr Amt, in dem Sie den Handschlag verweigern?
Wolf: Das ist eine juristische Debatte. Nach allem, was ich mich natürlich habe juristisch beraten lassen, geht es am Ende um die Frage, welche rechtliche Wirkung hat diese Formulierung „per Handschlag“. Von daher ist es nicht an der Zeit, jetzt über einen möglichen Amtsverlust zu spekulieren. Wir warten auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Und um auf Ihre Frage zu antworten: Ich glaube, nein.
Wieners: Dann habe ich noch eine letzte Frage an Sie: Wenn jetzt ein junger Mensch zu Ihnen käme, mit ziemlich weichen Knien, weil in seiner Stadt die Rechtsextremen sehr präsent sind… Er überlegt sich aber, politisch zu engagieren. Was würden Sie ihm sagen, wie würden Sie ihn ermutigen?
Wolf: Diese Woche hat der große Rio Reiser seinen 70. Geburtstag gefeiert, und ich gebe zu, dass Rio Reiser mich in meiner Pubertätszeit unglaublich geprägt hat, weil ich seine Musik hoch und runter gehört hab. Meinen sozusagen Rat wäre an dieser Stelle einfach das Zitat der wunderbaren Zeile: „Allein machen sie dich klein“. Also zu schauen, wie man sich selbst Unterstützung sucht, sich selbst Menschen an die Seite holt, die einem Kraft und Halt geben. Das ist aus meiner Sicht gerade in der Auseinandersetzung mit radikal Rechten immer wichtig. Dass man Haltung zeigt, sich seiner eigenen humanitären Werte bewusst ist – also die Frage: „Wie weit darf Menschenfeindlichkeit gehen, wann muss ich Menschenfeindlichkeit auch sehr vehement und sozusagen intolerant entgegentreten?“ – und dann eben Gleichgesinnte zu suchen, die einen auf diesem Weg ein Stückchen begleiten.
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UPDATE: Der Handschlag ist in Thüringen inzwischen keine Pflicht mehr. Die Kommunalordnung wurde im Sommer 2020 entsprechend geändert. Katja Wolf, bzw. die Stadt Eisenach, hatte in der Sache kurz vorher noch eine Niederlage vor dem Bundesverwaltungsgericht erlitten. Trotzdem braucht Katja Wolf nach der neuen Rechtslage auch künftig den Mitgliedern der NPD-Fraktion nicht die Hand zu geben.
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